Wildwest in Ostkneipen

In Brettl und Sudhaus – Haut den Lukas!

In dem Ort, in dem Ronald wohnte, gab es zwei Lokalitäten, in denen, gelinde gesagt, die  Bären steppten, die Schweine pfiffen und die Hamster bohnerten.
    In der einen Kneipe, dem so genannten 'Brettl', ging ein und aus, was Rang und Namen in der örtlichen Säuferszene hatte.
    Das 'Brettl', mit richtigem Namen 'Dein Zuhaus', hatte einen Ruf, dass es in Kreisen der meisten Jugendlichen über alle Maßen attraktiv und begehrenswert machte. In den Augen des örtliche Establishments, zu denen sich auch Ronalds Eltern zählten, war es jedoch als üble Spelunke verrufen und wurde konsequent gemieden.
    Politisch war im 'Brettl' die Einheit bereits in den frühen Siebzigern vorweggenommen: Kurz vor Mitternacht wurde regelmäßig das Deutschlandlied im Radio gespielt!
    Warum und seit wann die Kneipe ihren eigenartigen Namen trug, wußte kein Mensch, nicht einmal die Wirtin und die Kellner.
    In der anderen Lokalität, dem so genannten 'Sudhaus', fanden an jedem Samstagabend Tanzveranstaltungen statt. Meistens begannen sie gegen acht Uhr abends. Es hatte sich eingebürgert, dass zwei Stunden später die Kasse schloss und danach der Eintritt kostenfrei war.
    Dies hatte selbstredend zur Folge, dass sich ab dieser Zeit das chronisch klamme Volk der durstigen Halbstarken im Sudhaus einfand. Außerdem war es geradezu zur guten Sitte geworden, dass ab Mitternacht mehr oder weniger große Schlägereien stattfanden.
    Diese waren immer wieder sehenswert und trugen zur allgemeinen Belustigung bei.
Ronald, der während der beiden Jahre auf der elterlichen Hausbaustelle guten Geschmack an Bier und Karten gefunden hatte, gehörte auch zu denjenigen, die sich am frühen Abend im Brettl einfanden, um sich quasi ihre Vordröhnung abzuholen. Meist traf er mit seinem Busenfreund Kalle, einem Schüler aus seiner Klasse, der wenige Minuten von seinem neuen Zuhause entfernt wohnte, am frühen Abend ein. Sie saßen bei der dorfbekannten Säufer- und Schlägerclique, soffen, rauchten und schwatzten. Manchmal spielten sie Skat um Bierrunden.
    Zwei Stunden vor Mitternacht begaben sie sich regelmäßig auf den Weg zum Sudhaus. Oftmals war es gar nicht mehr so leicht, den Weg zu finden. Da sie schon ausreichend gezecht hatten, war ihr Promillelevel entsprechend hoch. Glücklicherweise war der Weg vom Brettl zum Sudhaus nicht allzu weit. Ein rüstiger Fußgänger konnte ihn gut und gerne in fünf Minuten schaffen.
    Sie selbst benötigten meist etwas länger!
Zuweilen geschah es auch, dass einer von ihnen, der schon zu fleißig gezecht hatte, einfach auf der Strecke und liegen blieb. Da jedoch die Solidarität der Durstigen recht ausgeprägt war, wurde derjenige fast immer bis zu einer Parkbank geschleppt, auf der er dann seinen Rausch ausschlief. Zuweilen geschah es auch, dass derjenige, der auf die Parkbank gelegt wurde, von der nächtlichen Kühle erwachte und dann doch noch den Weg zum Sudhaus fand ...
    Es war am ersten Weihnachtsfeiertag.
Ronald hatte sich mit Kalle verabredet, wie an sonst an jedem Samstagabend im Brettl zu treffen. So geschah es, und zwei Stunden vor Mitternacht waren sie auf den anschließenden Besuch im Sudhaus mental und körperlich vorbereitet. Sie zahlten und verließen das Brettl. Dank dem Alkoholspiegel fühlten sie sich sauwohl. Mit leichter Schlagseite erreichten sie das Sudhaus.
    Die Kasse war wie üblicherweise zu dieser Zeit geschlossen. Sie traten ein und blickten sich um.
    Aha, am Ecktisch saßen bereits etliche Bekannte! Sie gingen an den Tisch und schlugen mit der Faust auf die Platte.
    "Prost Halunken!" schrien sie. "Können wir uns zu euch setzen?"
Ehe die Befragten antworten konnten, saßen sie bereits am Platz.
    "Nicht sauer sein, Leute! Den Eintritt hier haben wir uns gespart. Dafür gibt's jetzt 'ne Runde Bier! Ist's recht?"
    Es war ihr Einstand und es war recht!
Sie bestellten das Bier, das prompt geliefert wurde!
    Die nächsten Minuten verlief in angeregten Gespräch. Bei manchen Liedern, die die Band spielte, brüllten sie laut mit und hieben im Takt der Musik auf die Tische!
    Über dieser fröhlichen Beschäftigung wurde es Mitternacht. Üblicherweise schloss die Tanzveranstaltung gegen ein Uhr früh. Dessen ungeachtet geschah es aber, dass nach reichlich geforderten Zugaben auch ein oder manchmal sogar zwei Stunden länger gefeiert wurde.
    Mit einem Mal horchten Ronald und Kalle auf:
    "Ach, hörst du was? - Ich glaub', wir müssen raus! Es gibt wieder Dresche! Geil!! Mal sehen, wer diesmal eins auf die Fresse kriegt!"
    Beliebt waren Auseinandersetzungen mit gleichaltrigen Jugendlichen aus den Nachbarorten. Auch Schlägereien mit polnischen Gastarbeitern waren seinerzeit nicht selten.
    "Ja, du hast recht! Draußen kracht's schon! Los, nichts wie hin!"
    Sie sprangen auf und eilten zum Ausgang.
    So war es in der Tat. Als sie aus der Tür traten, sahen sie schon einen Knäuel miteinander kämpfender Gestalten. Die Fäuste flogen!
    Etwas abseits vom Gewühl der Kämpfenden stand ein geschäftstüchtiger Freund von ihnen und schrie mit lauter Stimme: "Zaunslatten! Zaunslatten! Schöne große Zaunslatten. Auch kleine Zaunslatten! Nur eine Mark! Kauft Leute, kauft! Billig wie noch nie!"
    Wirklich, er trug ein Bündel Zaunslatten unter dem Arm und hatte offensichtlich die feste Absicht, diese gegen Geld an den Mann zu bringen. In der Dunkelheit war nicht zu erkennen, ob er diese bereits vorsorglich mitgebracht hatte, oder ob er sie gerade vom nächsten Gartenzaun herunter gerissen hatte.
    Geschäfte machte er nicht damit. Allerdings machten einige Streithähne von seinem Angebot Gebrauch, rissen einige Zaunslatten aus seinem Bündel heraus und gingen sofort damit aufeinander los.
    'Krach! Knirsch!'
    Ronald und Kalle sahen amüsiert dem Handgemenge zu. Neben ihnen standen weitere Schaulustige, die sich an dem Schauspiel ergötzen und das Geschehen interessiert kommentierten!
    "Ah, jetzt bekommen die Penner aus dem Nachbarkaff richtig schön eins aufs Maul! Da, schau mal, wie Eddi wieder zuschlägt! Wunderbar!"
    Beifälliges Gemurmel und anerkennende Worte zeugten von Zustimmung.
Eddi war der anerkannte Dorfschläger. Knapp achtzehn Jahre alt, hatte er Kräfte wie ein Bär und war groß und breit wie ein Schrank. Gerade hatte er sich einen der Raufbolde vom Nachbarort vorgenommen.
    'Klatsch! Klatsch! Wumm!' Er gab ihm ein paar gewaltige Ohrfeigen und schlug ihm danach mit einigen Fausthieben ins Gesicht.
    Eddi trug bei den Tanzveranstaltungen und auch bei den Saufgelagen im Brettl gerne eine französische Tarnjacke, die ihm sein Vater, ein alter Fremdenlegionär, geschenkt hatte. Dazu trug er Jeans und darüber ein Paar alte Wehrmachtsstiefel. Es sah ziemlich martialisch aus.
    Eddis Gegner hatte offensichtlich genug und wankte in Schlangenlinien zurück ins Sudhaus. Offensichtlich musste er diese Niederlage mit weiteren Gläsern Bier oder Schnaps ertränken. Die Kontrahenten saßen im übrigen nicht selten nach ihrer Schlägerei wieder einträchtig zusammen.
    'Pack schlägt sich, Pack verträgt sich!" hieß es dann bei den sittsamen Bürgern der Stadt.
    Dieses fröhliche Treiben wiederholte sich so ziemlich jede Woche ...
Legendär war eine Schlägerei, bei der mehr als die Hälfte des Saalmobiliars zu Brennholz verarbeitet wurde.
    Begonnen hatte es wie üblich gegen Mitternacht, als ganz normale Prügelei auf der Tanzfläche.
    Ein vierschrötiger Kellner, Klaus mit Namen, hatte seither seinen Spitznamen weg: Er hatte einen Tisch umgeworfen und zwei Beine abgetreten, mit denen er sich ungefragt ins Getümmel stürzte.
    Wie er bei einer späteren Vernehmung angab, wollte er nur für Ruhe und Ordnung sorgen. Aber: der 'Ungehobelte Klotz', wie es im Polizeibericht stand, machte die Runde in der Szene und so wurde er ab sofort unter der Hand genannt.
    Sein Beispiel gefiel, und die Sache begann augenblicklich zu eskalieren. Einige Besoffene leisteten willkommene Vorarbeit für die Prügelnden, indem sie weitere Tische von ihren Beinen befreiten und an die Kontrahenten freigiebig verteilten.
    Etliche der unfreiwillig von ihren Tischen Befreiten nahmen dies zum Anlaß, sich am Geschehen aktiv zu beteiligen.
    Weitere Kreative begannen Gardinen und Vorhänge herunterzureißen und über die Prügelnden zu werfen. 'Wie im alten Rom; mit Netz!' stand  es im Bericht.
    Die Tischbeine ersetzten logischerweise den Dreizack!
Man erzählte auch, dass aus dem Knäuel der sich Keilenden laute Rufe nach weiterer Tischbeinversorgung laut geworden wären. Draufhin hätten einige selbsternannte Lieferanten pennenden Besoffenen ihre Stühle unter dem Allerwertesten weggerissen und für kleinere, aber handlichere Ausrüstung gesorgt.
    Als das alarmierte Überfallkommando mit Blaulicht und Sirene anrückte, saßen die meisten Beteiligten, manche mit dicken, veilchenblauen Augen, geschwollenen Mundwinkeln oder großen Striemen und Beulen wieder einträchtig um die verbliebenen Tische.
    Einige lagen auch schnarchend darunter! ....
An diesem Weihnachtsabend spielte die Band etwa zwei Stunden länger. Anschließend saßen Kalle und Ronald, ungeachtet der Winterkälte, noch einige Zeit vor dem Eingang des Sudhauses. Neben ihnen standen etliche Kästen Bier, mit denen sie sich warm hielten. Sie grölten lauthals Trink- und Studentenlieder und schunkelten mit ihren Kumpanen um die Tische wie beim Karneval.
    Nur gut, dass keine Polizei in der Nähe war, und wohl auch kein inoffizieller Mitarbeiter der Stasi in der Nähe war, denn kurz bevor sie sich mit lallender Stimme von ihren Saufbrüdern verabschiedeten, sangen sie noch diverse Heimat-und Fahrtenlieder.
    Dies konnte in der DDR zuweilen böse Folgen haben.
Von der Erinnerung an diese Abende konnten sie zuweilen die ganze Woche und noch länger zehren...