Trouble mit der Penne - Abifeier mit Hindernissen

....

   Am Mittwochvormittag war im Kulturhaus von Spießdorf die Vorbereitung der Abiturfeier angesetzt. Es war vorgesehen, dass einige der Schüler, so auch Ronald und Kalle, mehrere Theaterstücke aufführen sollten. Dies gefiel den beiden überhaupt nicht, da sie hierzu noch diverse Texte hätten auswendig lernen müssen. Sie verzichteten leichten Herzens darauf und lernten auch nichts.
    Am Dienstag besuchte Ronald nochmals seine Lehrer und danach seinen alten Freund Hansi. Seine Klassenlehrerin, Frau Müller, rang ihm die widerwillige  Zusage ab, sich doch noch an dem Theaterstück zu beteiligen.
    Hansi war Offiziersbewerber und genoss daher angeordnete Narrenfreiheit bei den Lehrern. Aber auch er hatte kein gutes Verhältnis zur Klassenlehrerin. Er war die zwei Wochen mit ins Ferienlager gefahren und berichtete Ronald von den Geschehnissen.
    Was dieser hörte, erheiterte und betrübte ihn zugleich.
Hansi erzählte ihm von lustigen Streichen und diversen Liebesabenteuern, die sie im Ferienlager angestellt hatten und von denen glücklicherweise kein Lehrer etwas bemerkt habe. Ferner berichtete er, dass Frau Müller trotzdem furchtbar böse auf ihn und die anderen Jungen wäre. Sie hatten sich geweigert, an der Vorbereitung der Theaterstücke teilzunehmen. Grund war letztlich das Verhalten von Thomas, der, so Hansi, versucht habe, sich bei der Klassenlehrerin wieder einmal einzuschmeicheln. Er habe die anderen furchtbar mit dem Theaterstück genervt und regelmäßig versucht, sich dabei zu profilieren. Das Ganze hätte darin gegipfelt, dass sich, außer Thomas, sämtliche Jungen dem Stück verweigert hatten. Im Ferienlager wäre es daraufhin zum Eklat gekommen und Hansi, als der Anstifter des Boykotts, wurde zur persona non grata erklärt. Viel hätte nicht gefehlt und er wäre zwangsweise nach Hause geschickt worden.
    "Wenn du gescheit bist", sagte Hansi, "dann mach auch nicht bei dem Stück mit. Du wirst sehen, die Alte versucht es und will dich und Kalle dazu verpflichten."
    "Dazu habe auch ich nicht den geringsten Bock!" antwortete Ronald. "Dumm ist nur, dass ich vor etwa einer Stunde in der Penne der blöden Kuh zugesagt habe, noch an dem Stück teilzunehmen. Blieb mir auch nichts anderes übrig, da mein Vater vorbei war. Okay, ich wusste ja nicht, was bei euch so abgegangen ist. Es ist nur Scheiße, denn ich habe kein Wort von dem blöden Text gelernt. Das schaff' ich doch sowieso nicht mehr. Nun ja, bei Kalle ist’s auch nicht anders!"
    "Das ist doch prima!" freute sich Hansi. Ihr sagt ihr einfach, dass ihr den Text nicht gelernt habt und dann platzt der Blödsinn!"
    "Von mir aus herzlich gerne, Hansi." sagte Ronald leicht seufzend. "Nur, dann hab ich doch sofort wieder meine Alten auf der Pelle. Du weißt ja, wie allergisch sie sind, wenn man Lehrer auch nur andeutungsweise kritisiert, ganz zu schweigen davon, wenn du ihre Anweisungen ignorierst. Wie auch immer, ich muss mal überlegen, was wir da machen können. Ich werde mich nachher dumm stellen und so tun, als ob ich vor nichts wüsste. Aber egal: Ärger kriege ich jetzt so und so. Andererseits: wenn es so ist, wie du mir geschildert hast, sehe ich wirklich nicht ein, da mitzumachen. Und ob die Alten nun sauer auf mich sind oder nicht, ist mir mittlerweile so ziemlich schnuppe. Die meckern sowieso nur noch 'rum, egal was ich mache. Und so denke ich, wenn ich auf diesem Wege Solidarität mit euch übe, ist es nur ein gerechter Ausgleich. Kalle wird es bestimmt genauso sehen."
    "Mach das!" sagte Hansi. "Viel Spaß dabei! Aber ich sage dir gleich, die Alte hat ein Rad ab. Was die sich rausgenommen hat, das war einfach unmöglich! Wahrscheinlich ist sie in den Wechseljahren, da sollen manche Leute anfangen zu spinnen!"
    "Kann sein!" grinste Ronald. "Wenn wir in den Wechseljahren sind, geht's uns genauso. Vor allem dann, wenn wir unsere Regel nicht mehr kriegen!"
    "Du bist ein Blödmann, Ronald!" lachte Hansi. "Aber wo du recht hast, hast du recht!"
Sie verabschieden sich voneinander. Ronald ging sorgenvoll nach Hause, um am Nachmittag zur Spätschicht zu fahren. Bis dahin hatte er noch keine Lösung gefunden, die es ihm gestatten würde, sich einigermaßen elegant aus dieser Affäre zu ziehen.
    Während ihrer Arbeit berichtete er Kalle von seinem Besuch bei Hansi und von dem, was dieser ihm berichtet hatte. Sie waren sich einig, dass sie an diesem Stück nicht teilnehmen wollten. Sie hatten keinerlei Lust und Veranlassung, in den verbleibenden Stunden noch ein Dutzend Seiten Text auswendig zu lernen. Und sich auf der Bühne zu blamieren, schon gar nicht.
    "Das beste wäre es", sagte Kalle, "wenn wir gar nicht da wären. Wir kommen einfach zwei Stunden später."
    "Das können wir nicht machen!" entgegnete Ronald. "Es ist Abifeier und da sollten wir schon dabei sein. Ich glaube meine Alten kriegen 'nen Kollaps, wenn ich diese Feier schwänze. Bei dir ist das natürlich 'was anderes. Du hast es eben besser. Hier zumindestens."
    Kalle lachte.
    "Na ja, manchmal schon, da hast du recht".
Sie beratschlagten und überlegten hin und her.
    Ohne Ergebnis!
Die Schicht verging und sie fuhren mit dem Bus nach Hause.
    Ronald war nach wie vor in Gedanken versonnen und mit Sorgen angefüllt. Seine Schritte lenkten ihn dann wie von selbst ins Brettl, wo er bis zur Schließung saß und ziemlich angetrunken nach Hause torkelte. Seine Eltern schliefen bereits.
    Am anderen Morgen stand er gerade noch rechtzeitig auf, um sich zu duschen, anzuziehen und im Sturmschritt zur Bushaltestelle zu laufen. Auf die letzte Sekunde erreichte er den Bus.
    In seinem Kopf drehte es sich noch immer.
Er betrat das Kulturhaus. In dem großen Saal waren bereits die meisten der Klassenkameraden versammelt. Als einziger Junge war Thomas anwesend. Kalle fehlte.
    Ronald sah Thomas mit verachtungsvollem Blick an und drehte ihm den Rücken zu.
    "Guten Tag, Frau Müller" sagte er. "Schönen guten Tag, Mädels" lächelte er zu den Klassenkameradinnen.
    "Das ist aber schön, dass Sie gekommen sind, Ronald" sagte Frau Müller. Jetzt haben wir ja jemanden, der als zweiter männlicher Part an unserem Theaterstück teilnehmen wird!"
    Das war es!
Ronald druckste ein wenig. "Ja, also, ..., also, Frau Müller, wissen Sie, ..."
    "Was weiß ich?" fragte sie, sichtlich erstaunt. "Hast du ein Problem?"
Ronald war es unangenehm. Er atmete mehrmals tief durch.
    "Frau Müller, ich will nicht lange drumherum reden. Ich möchte nicht an dem Theaterstück teilnehmen!"
    "Du möchtest bitte ...was ... nicht?! Sag das nochmal!"
    "Ich möchte nicht an dem Theaterstück teilnehmen!"
    "Ich höre wohl nicht recht?! Das erklärst du mir jetzt, bitteschön. Aber sofort!"
Ronald war im Bus eine vermeintlich brauchbare Idee gekommen.
    "Ich bin nicht dazugekommen, den Text zu lernen. Und jetzt ist die Zeit zu knapp. Tut mir leid!"
    Aus den Augenwinkeln sah Ronald, wie Thomas über beide Backen grinste. Er konnte sich ziemlich gut vorstellen, woran dieser gerade dachte. 'Nein, mit dem spiele ich nicht zusammen. Und wenn der Alte verrückt wird. Scheißegal!'
    "Dann lernst du ihn eben noch." bestimmte die Klassenlehrerin. Es sind nicht allzu viele Seiten, das sollte doch in anderthalb Tagen zu machen sein? Oder etwa nicht? Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen!"
    "Das wird leider nicht funktionieren, da ich heute noch zur Spätschicht und zur Sonderschicht muss. Das schaffe ich nicht mehr, sorry."
    Thomas' Mundwinkel zogen sich weiter nach oben.
    "Na und? Dann lernst du den Text eben morgen, wenn deine Schicht beendet ist! Die Veranstaltung beginnt um achtzehn Uhr. Das heißt, du hast noch fast zehn Stunden Zeit. Und in zehn Stunden kann man zwölf Seiten Text lernen. Du kannst das und das weiß ich! So, und jetzt keine Ausrede mehr, du wirst den Text lernen und morgen wird das Stück aufgeführt, verstanden?! Gut! Du nimmst jetzt die Blätter in die Hand, liest den Text hier kurz durch und dann werden wir eine Probe machen. Ich verstehe dich nicht. Schau mal, der Thomas, der hat sich während der Zeit im Ferienlager alle Mühe gegeben, um sich auf diese wichtige Veranstaltung vorzubereiten."
    Ronald drehte sich zu Thomas um. Dieser hatte noch immer sein Grinsen aufgesetzt. Man sah, wie ihm das Lob behagte.
    "Das war doch notwendig, Frau Müller! Wir wollen einen guten Abschluss erreichen und zwar so, dass wir unseren Eltern und auch dem Schulrat etwas bieten können!"
    Ronald schoss die Galle ins Blut, als er diese Worte hörte. Er vergaß die Anwesenheit der Lehrerin und der Klassenkameraden und auch den bevorstehenden Ärger mit seinen Eltern.
    "Kerl, wenn ich so ein Geschleime höre, wird mir kotzübel. Halt bloß die Klappe!"
    "Das kann ich mir vorstellen, dass dir kotzübel ist." antwortete sein Widersacher. "Deine Fahne riecht man ja bis hierher. Hast wahrscheinlich gestern Abend wieder mit deinen asozialen Kumpanen in irgendeiner stinkigen Kneipe gehockt. Wenn man säuft, kann man freilich nicht lernen!"
    Die Klassenlehrerin nickte beifällig. "Genauso ist es, Thomas! Hast du es gehört?"
Die Frage war an Ronald gerichtet. Dieser sah sie an und nickte heftig.
    "Ja, das habe ich, und ich habe auch bereits gesagt, was ich davon halte. Merken Sie denn nicht, Frau Müller, was dieser Kerl für ein Schleimer ist?"
    "Was heißt hier Schleimer?" entgegnete sie heftig. "Er hat einfach nur recht!"
    Ronald merkte, dass es zwecklos war. Thomas' Anbiederungsversuche kamen leider bei gewissen Leuten, vorzugsweise einigen Lehrern hervorragend an. Thomas wusste dies natürlich genau, und setzte sich, so gut er konnte, bei den Betreffenden ins rechte Licht.
    Leider fiel auch Ronalds Vater auf die biedere Maske herein und hielt ihn für einen fleißigen, pflichtwußten Schüler.
Diskussionen, das merkte Ronald, hätten hier nichts gebracht.
     Aber er hatte jetzt, wie es ihm plötzlich durch den Kopf schoss, ein neues Argument gegen die Teilnahme an dem Theaterstück.
    "Selbst wenn ich jetzt den Text noch lernen würde, so will ich bei diesem Stück nicht mitmachen. Der Grund ist ganz einfach der, dass ich mit diesem Kerl nicht zusammen sein möchte. Ich will einfach mit ihm nicht auf der Bühne stehen und ich will mit ihm auch nicht irgendein Stück, ob es nun zehn Seiten oder auch nur eine Zeile lang ist, aufführen. Es hat ja wohl seinen Grund, warum die anderen Jungens dies ebenfalls nicht wollen!"
    Tief holte er Luft.
    "Ist es nicht so?!" fuhr er Thomas scharf an. Diesem blieb das Grinsen im Gesicht stehen.
    "Ach, daher weht der Wind?!" knurrte die Lehrerin. Sie waren wahrscheinlich bei dem Hansi und haben sich alle möglichen Sachen erzählen lassen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass das komplett erstunken und erlogen ist."
    "Sie wissen ja gar nicht, bei wem ich war, und wer mir was erzählt hat." lächelte Ronald überlegen. "Aber wenn Sie schon einmal dabei sind: Ja, ich war bei Hansi. Und ich glaube ihm, was er mir erzählt hat. Er und eine ganze Menge anderer Leute, eingeschlossen meiner Wenigkeit haben die gleiche Meinung über diesen Kerl."
    Er zeigte auf Thomas, auf dessen Stirn sich eine steile Falte bildete. "Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht, ob Sie es meinen Eltern erzählen oder nicht, wobei ich davon ausgehe, dass Sie es selbstverständlich und gleich nachher tun werden, ist mir egal. Ich werde dieses Stück nicht mitspielen. Ach ja, falls sie es interessiert; Kalle auch nicht!"
    Die Lehrerin versuchte noch einige Zeit, Ronald umzustimmen. Sie argumentierte mit Blamage, einem noch nie da gewesenen Eklat, mit Meldung an die Eltern, den Schulrat und Schlimmeren.
    Ronald blieb hart.
    "Frau Müller, es hat keinen Sinn, ich lasse mich nicht umstimmen. Ich werde jetzt gehen und meine Arbeit machen. Außerdem habe ich noch Durst, mein Schnuckelchen!"
    Mit den letzten Worten grinste er Thomas an, drehte er sich um und verließ grußlos den Saal.